Der i2b fokusTALK zur Startup-Nachhaltigkeit
Grün, klimafreundlich, sustainable: Bis vor wenigen Jahren war es noch möglich, Startups mit schicken Werbebotschaften einen sauberen Anstrich zu verpassen. Doch diese Zeit ist vorbei: Wer heute wirklich nachhaltig Business machen will, muss sich an immer strengere Regeln und Vorgaben halten. „Nachhaltigkeit“ für Marketingbotschaften zu verwenden ist zu wenig. Das Thema zieht sich vom Businessplan über die Finanzierung und das Team bis hin zur Wettbewerbsfähigkeit – und krempelt damit das gesamte Unternehmen auf allen Ebenen um.
Wie schaffen Gründer:innen also echte Nachhaltigkeit? In einer hochkarätigen Runde geben die Expert:innen Birgit Polster (Startup Finanzexpertin GründerCenter Erste Bank), Gabriele Tatzberger (Leiterin Startup Services der Wirtschaftsagentur Wien), Benjamin Zucali (Project Manager Austria Wirtschaftsservice) sowie Verena Gartner und Christoph Haller (beide Wirtschaftskammer Österreich) Top-Insights in die Regeln des grünen Business.
Es gibt nicht die eine letztgültige Definition – aber es gibt viele Kriterien
“Früher war die einzige Möglichkeit für Unternehmen, mit nachhaltigen Aktivitäten sichtbar zu werden, einen Nachhaltigkeitsbericht zu schreiben”, sagt Christoph Haller von der WKO. Heute sei das ganz anders, es stünden eine ganze Reihe an Konzepten und Standards zur Verfügung, die man als Unternehmen zur Orientierung heranziehen kann, um sich schrittweise dem Thema Nachhaltigkeit zu nähern.
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SDG: Die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (UN) betreffen drei Dimensionen (Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt), die wiederum in 17 Nachhaltigkeitsziele (von sauberes Wasser über nachhaltigen Konsum bis Schutz der Ozeane) unterteilt sind. Viele Startups schreiben sich eines oder mehrere dieser SDGs auf die Fahnen, wobei aber auch beachtet werden muss, dass es, um einen Beitrag zu diesen Zielen zu leisten, viel Interpretationsspielraum und keine Standardmesswerte gibt. Die SDGs in Form der Agenda 2030 werden weltweit von 193 Staaten mitgetragen. Auch wenn sie sich nicht immer leicht auf Jungunternehmen herunterbrechen lassen, kann jeder einzelne Betrieb am Weg zur Zielerreichung mitarbeiten.
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ESG: Environmental, Social and Corporate Governance-Kriterien sind mittlerweile weit verbreitete, aber nicht unumstrittene Leitlinien für Unternehmen hinsichtlich Umwelt (Energieeffizienz, Ressourcenverbrauch, Abfallmanagement, Maßnahmen gegen Klimawandel, usw.), Soziales (Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, Inklusion) und Unternehmensführung (ethische Grundsätze, Transparenz, unabhängige Prüfung usw.). Aus der Finanzwirtschaft kommend sind diese ESG-Kriterien vor allem für börsennotierte Unternehmen wichtig, da zum Beispiel deren Aktien oft nur dann in Fonds aufgenommen werden, wenn sie diesen entsprechen. Tesla, mit E-Autos an vorderster Front der Mobilitätswende, ist aus dem S&P 500 Nachhaltigkeitsindex geflogen, weil es im ESG-Bericht keine Details zur Strategie der CO2-Reduktion bot. Ein dafür relevantes Instrument ist die EU-Taxonomie-Verordnung, die einen Rahmen für ein EU-weites Klassifikationssystem vorgibt. Kritik daran gibt es, weil auch Tätigkeiten aus dem Bereich der Atomenergie- oder Gas-Industrie enthalten sind.
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SRI: Die Kriterien für Socially Responsible Investments gelten als die strengere Version der ESG-Kriterien. Sie funktionieren folgendermaßen: Mit Negativkriterien können sie zum Ausschluss von Unternehmen für Finanzierungen führen, wenn sie einer sozial und/oder ökologisch nachhaltigen Entwicklung entgegenstehen. Dazu zählen Rüstungs-, Tabak- oder Alkoholindustrie, Glücksspiel, Pornografie und Atomenergie.
Über die Regularien des European Green Deal werden in der EU in den nächsten Jahren weitere Nachhaltigkeitsziele und -vorgaben schlagend. Je nach Unternehmensgröße betreffen sie diese direkt oder über den Dominoeffekt der Wertschöpfungskette direkt. Teilweise fallen auch Nicht-EU-Unternehmen unter den Anwendungsbereich:
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CSRD: Die Corporate Sustainability Reporting Directive verlangt ab dem Geschäftsjahr 2024 stufenweise von großen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter:innen bzw. kapitalmarktorientierten KMU (ab 50 Mitarbeiter:innen ab Geschäftsjahr 2026) Nachhaltigkeitsberichterstattung zu den European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Diese orientieren sich an den ESGs und lauten wie folgt:
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Umwelt-Standards:
E1 – Klimaschutz (inklusive Treibhausgas-Bericht)
E2 – Umweltverschmutzung
E3 – Wasser- und Meeresressourcen
E4 – Biologische Vielfalt und Ökosysteme
E5 – Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft
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Soziale Standards:
S1 – Eigene Belegschaft
S2 – Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette
S3 – Betroffene Gemeinschaften
S4 – Verbraucher und Endnutzer
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Governance Standard:
G1 – Unternehmensführung
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Voluntary SME Standards, also freiwillig anwendbare Leitlinien für nicht-kapitalmarktorientierte KMU, werden aktuell auf EU-Ebene entwickelt, damit auch kleine Unternehmen, die nicht an die Börse wollen, sich bestimmten Standards der CSRD unterwerfen können.
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EU-Richtlinien gegen Greenwashing sehen unter anderem vor, dass “grüne” Marketing-Behauptungen auf allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren müssen. Erlaubt ist etwa nicht mehr, ein Unternehmen bzw. ein Produkt als klimaneutral zu bezeichnen, wenn das durch CO2-Kompensation erreicht wurde.
Firmen, die proaktiv Nachhaltigkeit nach außen beweisen wollen, können sich außerdem nach ISO-Normen zertifizieren lassen. Diese sind aber freiwillige Standards und haben keine rechtliche Verbindlichkeit. Unter anderem gibt es:
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ISO 14001: legt Anforderungen an ein Umweltmanagementsystem fest, mit dem eine Organisation ihre Umweltleistung verbessern, rechtliche und sonstige Verpflichtungen erfüllen und Umweltziele erfüllen kann
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ISO 14072: Anforderungen und Richtlinien für die organisatorische Ökobilanz
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ISO 14068: Grundsätze und Anforderungen zur Erreichung der Treibhausgas-Neutralität (engl. “Carbon Neutrality”)
Etwas veraltet ist mittlerweile die Berechnung des CO2-Fußabdrucks, moderner ist die Bilanzierung von Treibhausgasemissionen, oft kurz als CO2-Bilanz bezeichnet. Dazu gibt es einen von Umweltschutz-NGOs und Unternehmen gemeinsam entwickelten Standard:
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Das GHG Protocol ist ein transnationaler Standard zur Bilanzierung von Treibhausgasemissionen auf Unternehmensebene, unter anderem zur Erfassung von CO2, Methan, Lachgas oder Fluorkohlenwasserstoffen (FKW).
Finanzierung: Wer künftig Geld sucht, punktet mit Nachhaltigkeit
“Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass künftig die Firmen wirtschaftlich erfolgreich sein können, die die soziale und ökologische zusätzlich zur ökonomischen Dimension von Anfang an mitdenken”, sagt Tatzberger von der Wirtschaftsagentur Wien. Heute reiche es nicht mehr, zusätzlich zum Geschäftsmodell noch ein Impact-Kapitel anzuschließen, vielmehr müsste Nachhaltigkeit in allen Aspekten gezeigt werden. Die Wirtschaftsagentur Wien etwa hat mit Anfang 2024 eine Schwerpunktsetzung rund um Klima und Umwelt getroffen – wer also Förderungen will, bekommt bei der Bewertung Bonuspunkte, wenn glaubwürdig gezeigt wird, wie neue Geschäftsmodelle auf Klima und Umwelt einzahlen. “Das bedeutet, dass Projekte, die Klima und Umwelt mitdenken, besser bewertet werden. Wir sind überzeugt, dass die Unternehmen darauf reagieren und ihre Projekte nachhaltiger gestalten werden ”, so Tatzberger. “Das korrespondiert natürlich auch mit dem Ziel der Stadt, bis 2040 möglichst CO2-neutral zu werden.”
“Ohne Nachhaltigkeit wird es schwierig werden, nicht nur Förderungen zu bekommen, sondern auch generell Finanzierungen wie Kredite zu bekommen”, sagt auch Polster vom GründerCenter der Erste Bank. Zwar würden Unternehmen wohl keine Kredite verweigert werden, weil sie kein nachhaltiges Geschäftsmodell haben, aber umgekehrt könnte es nach dem Belohnungs-Prinzip bessere Kreditkonditionen für jene Firmen geben, die Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. In der Praxis zeige sich auch, dass Investor:innen Pitch Decks und Geschäftspläne genau auf Nachhaltigkeitsaspekte prüfen würden.
“Im Bereich Deep Tech beziehen wir uns auf den Green Deal der EU. Da gibt es gewisse Richtlinien bzw. Eckpunkte, die zu erfüllen sind, wie etwa die Klimaneutralität 2050”, sagt Zucali vom aws. “Bei Innovative Solutions arbeiten wir sehr stark mit dem Impact-Begriff, und bei Green IP ziehen wir die EU-Taxonomie heran, die ja auf dem Green Deal aufbaut.”
Zentral im Bereich der Finanzierung von Nachhaltigkeit ist die EU-Taxonomie, die auf Basis des Europäischen Green Deal ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten definiert hat. Um als nachhaltig zu gelten, müssen Investitionen substantiell zu mindestens einem der sechs Umweltziele beitragen, ohne eines der anderen Ziele signifikant zu beeinträchtigen. Die sechs Umweltziele der EU-Taxonomie-Verordnung sind:
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Klimaschutz
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Anpassung an den Klimawandel
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Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
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Übergang zur Kreislaufwirtschaft
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Bekämpfung der Umweltverschmutzung
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Erhalt und Wiederherstellung der Biologischen Vielfalt und der Ökosysteme
Außerdem können sich Unternehmen im Finanzbereich auch an der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) der EU orientieren.
Generell lässt sich festhalten, dass in allen drei wesentlichen Bereichen der Finanzierung (Eigenkapital, Fremdkapital & Förderungen) bereits jetzt verstärkt nach Nachhaltigkeitskriterien bewertet wird. Da in der vielfältigen Landschaft von Investor:innen, Banken, Kreditinstituten und Förderstellen unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, sollte man sich jeweils diesbezüglich informieren.
Grundsätzlich, betonen Polster vom GründerCenter der Erste Bank und Gartner von der WKÖ, sei aber immer darauf zu achten, dass Nachhaltigkeit im Businessplan nicht bloß in einem einzelnen Kapitel behandelt werde, sondern in allen Unternehmensbereichen berücksichtigt wird. Nur dann könne man vor Geldgeber:innen glaubhaft machen, dass das Unternehmen “grün” handelt.
Team: Der Chief Sustainability Officer ist nicht Pflicht, aber…
Man liest es immer öfter: Unternehmen führen einen eigenen Beauftragten für Nachhaltigkeit im Management ein, manchmal Chief Sustainability Manager genannt. Eine solche Position können sich aber meist nur Corporates leisten, bei Startups hingegen ist eine solche Position selten. “Das Thema ist nicht gelöst, wenn du eine einzelne zuständige Person hast, und allen anderen ist es egal”, sagt Tatzberger von der Wirtschaftsagentur Wien. “Es muss ein Grundverständnis im Gründer:innen-Team geben, um Nachhaltigkeit anzustreben. Wie man das dann organisiert, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich.”
“Um tatsächlich Nachhaltigkeit in einem Unternehmen zu leben, braucht es das Commitment des Chefs oder der Geschäftsführung ”, sagt Verena Gartner von der Wirtschaftskammer. “Eine Veränderung, auch zB durch die Einführung von Nachhaltigkeitszielen ins Unternehmen, verändert zwangsläufig die Kernstrategie. Es geht nicht nur darum, nachhaltige Produkte oder Services anzubieten.” Das bedeutet auch, dass möglichst allen Mitarbeiter:innen grundlegendes Wissen für nachhaltiges Wirtschaften zu vermitteln ist – im ökologischen Bereich fange das etwa schon beim Energiesparen und der Mülltrennung am Arbeitsplatz an.
Nachhaltigkeit ist schließlich auch ein Thema im Employer Branding. Es gibt immer mehr, vor allem junge Talente, die bei der Wahl des Arbeitsplatzes auch darauf achten, wie nachhaltig ein Unternehmen ist. Manche verzichten sogar auf Geld, um in einem Unternehmen zu arbeiten, welches das Thema Nachhaltigkeit ernsthaft vorantreibt. In Zeiten des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel kann gelebte Nachhaltigkeit im Unternehmen den Unterschied im Wettbewerb um Talente machen.
Wettbewerb: Mehr Business mit nachhaltigen Produkten
Nachhaltigkeit glaubhaft und nachvollziehbar als Startup oder KMU zu schaffen, ist insgesamt keine Kleinigkeit, sondern betrifft alle Unternehmensbereiche. Das ist manchmal vielleicht nicht unmittelbar auch ökonomisch greifbar, kann sich mittelfristig aber auszahlen. “Ich kenne bereits Unternehmen, die von ihren Handelspartnern den Carbon Footprint ihrer Produkte verlangen, ansonsten werden sie ausgelistet”, sagt etwa Haller von der Wirtschaftskammer. Es ist zu erwarten, dass solche Einzelfälle im B2B-Bereich zum Standard werden. Denn über die nächsten Jahre wird schrittweise das EU-Lieferkettengesetz eingeführt:
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Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) verlangt von Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten (jährliche Umsatzschwelle bei 450 Millionen Euro), dass sie ihre Zulieferer auf Verstöße gegen Umwelt- und Menschenrechte kontrollieren und ggf. Maßnahmen dagegen ergreifen. Das bedeutet, dass dieses Lieferkettengesetz auch kleine Unternehmen und Startups trifft, die mit den geschätzt etwa 5.400 betroffenen Großunternehmen zusammenarbeiten – auch sie werden als Zulieferer in die ökologische Pflicht genommen. Wer die Vorgaben der Corporates erfüllen kann, hat somit einen Wettbewerbsvorteil vor Mitbewerbern, die das nicht tun.
Auch im B2C-Bereich ändert sich die Nachfrage. Egal ob bei Lebensmitteln, CO2-armen Lifestyle-Produkten oder grünen Investmentmöglichkeiten – überall ist die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Services und Produkten zu bemerken. Wer früher als die Konkurrenz Produkte mit einem nachhaltigen Mehrwert am Markt platzieren kann, kann sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen – und wirtschaftet dann nicht nur im eigenen, sondern auch im globalen Sinne nachhaltig.